Schnittmuster verstehen
Warum passen fertige Schnittmuster nicht?
Ich bin mir ziemlich sicher, dass du folgende Situation beim Kleidung shoppen kennst: Bei der Marke A passt dir ohne Probleme die Größe 38, bei Marke B kommst du in die Größe 42 grade so rein. Bei Marke C passen dir einfach nie die Ärmel vom Sakko und bei Marke D sind die Schnitte und Größen total seltsam für dich ...
Die gute Nachricht - wie du sicher schon weißt ;) - du bist damit nicht alleine.
Das gleiche Phänomen gibt es auch bei fertigen Schnittmustern, von verschiedenen Anbietern. Blöd ist nur, dass man das Schnittmuster vorher nicht anprobieren kann, ob es passt. Viele nähen daher Probemodelle, bevor sie den "guten" Stoff zuschneiden. Für jeden Schnitt ein Probemodell zu nähen, macht aber auch keinen Spaß, ist zeitaufwendig und teuer.
Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten:
a) Hast du schon ein passendes Schnittmuster, kannst du es x-fach wieder verwenden. Du kannst sicherlich auch kleine Veränderungen am Schnitt vornehmen, wenn du schon ein bisschen Erfahrung hast. Aber du kannst aus deinem passenden Schnittmuster kein neues Modell machen :(
Du hast zum Beispiel ein tolles Schnittmuster für eine Cardigan aus dehnbaren Stoffen, aber du kannst den Schnitt nicht in ein Sakko umändern.
b) Du hast einen passenden Grundschnitt für deinen Maße, und kannst daraus verschiedene Modell entwickeln - ganz wie es dir gefällt! Wäre das nicht toll? Da du weißt, dass dein Grundschnitt dir und deiner Körperform passt, kannt du mit etwas Übung verschiedene Modelle ganz nach deinen modischen Vorstellungen entwicklen.
Zurück zur Frage, warum fertige Schnittmuster nicht immer und auch nicht jedem/r passen.
Für die Erstellung von Schnitten gibt es kein "Gesetz", jeder kann theoretisch Schnitte erstellen wie er/sie will. Also was ich damit meine ist, dass Schnitthersteller A zum Beispiel immer eine Formel für die Hosenbeinlänge verwendet und Schnitthersteller B pro Größe immer um 2 cm verlängert. Welche Methode der Schnitthersteller verwendet, weiß ich aber leider beim Kauf der Kleidung / des Schnittmusters nicht. Wie gesagt, Kleidung kann man einfach anprobieren, das Schnittmuster leider nicht. Das ist ein Problem.
Ein anderes Beispiel ist folgendes: Dame A und Dame B haben beide einen Brustumfang von 110 cm. Dame A ist ganz zierlich und schlank und hat auch einen schmalen Rücken, dafür eine üppigen Busen. Dame B ist kräftiger gebaut, hat einen breiten Rücken und einen eher kleinen Busen. Beide Damen haben also den gleichen Brustumfang in cm, aber sind sehr verschieden im Körperbau. Wenn der Schnitthersteller also nach dem Brustumfang einen Schnitt erstellt, dann passiert was? Genau, keiner der beiden Damen passt dieser Schnitt. Der Schnitt passt nur einer Mischung aus Dame A und Dame B - dem Durschnitt also. Und dieser Durchschnitt bildet nun den Standard für die industrielle Schnittmustererstellung. Wer nicht Standard ist, dem passt der also Schnitt nicht!
Selbst wenn du jetzt also einen fertigen Schnitt hast, weißt du nicht, nach welchem "Standard" dieser erstellt wurde. Für Änderungen oder Anpassungen am Schnitt selbst also eine schwierige Ausgangssituation. Änderungen und Anpassungen können also erst am fertigen Kleidungsstück / Probemodell vorgenommen werden.
Aber jetzt kommst: Wenn du von Anfang an DEINEN Körper als Grundlage für deinen Schnitt quasi als Standard nimmst, dann wird dieser Schnitt perfekt zu deinem Körper passen. Toll, oder?
Einführung ins Schnittzeichnen
Das Ziel beim Schnittezeichnen ist immer, den zwei dimensionalen Stoff mithilfe des Schnittmusters auf deinen drei dimensionalen Körper zu bringen. Einfach gesagt, der Stoff liegt flach, der Körper hat aber Rundungen.
Rundungen können wir zum Beipiel mit Abnähern oder Nähten formen. Der Brustabnäher hat also den Zweck, den Stoff in einer runden Form an den Körper anzulegen. Brustabnäher können an verschiednen Stellen genäht werden, schau dir mal hierzu meine Videoreihe zur Brustabnäherverlegung auf Youtube an (Link zu Youtube).
Erinner dich bitte nochmal an Dame A (große Brust) und Dame B (kleine Brust) - die Brustabnäher der beiden Damen werden unterschiedlich geformt sein müssen, richtig? In einem Maßschnitt kann das ohne Probleme schon in der Schnitterstellung berücksichtigt werden, es entfallen also komplizierte und aufwendige Anpassungen am Probemodell. Und die Änderungen am Probemodell müssen ja auch wieder auf den Schnitt übertragen werden, wie zeitraubend, findest du nicht?
Die Erstellung von Maßschnitten folgt einem logischen Schema, in der von Anfang an deine Köpermaße und Köperformen berücksichtigt werden können. So sind die Anpassungen meisten nur minimal, das ist aber ganz normal.
Für die Schnitterstellung wird der Körper und das Modell in horizontale und vertikale Linien eingeteilt. Auf diesen Linien können dann die Breiten- und Längemaße aufgetragen werden. So wird also auf der waagrechten Taillenline der Taillenumfang aufgetragen. Damit wird zum Beispiel die Rockweite in der Taille berücksichtigt. Von der Taillenlinie nach unten wird auf den Senkrechten Linien "vordere Mitte / Rückenmitte" zum Beispiel die Rocklänge aufgetragen.
Schau dir mal diese Modellbild eines Rockes an:
Der Rockgrundschnitt ist übrigens einer der einfachsten Schnitt und daher für Anfänger im Schnittezeichnen sehr gut geeignet. Auch wenn du keine Röcke magst, ist es sinnvoll mit diesem Schnitt in die Welt des Schnittzeichnens einzutauchen, denn durch diesen Schnittt können erste Grundlagen recht einfach vermittlet werden. Außerdem haben Anfänger im Schnittzeichnen mit diesem Schnitt rasch "ihren" ersten Maßschnitt erstellt.
Wenn du diesen Rockgrundschnitt beherrschst, kannst du (fast) jedes Rockmodell daraus entwickeln. Also egal ob kurzer, luftiger, gerüschter Sommerrock oder bodenlanger Rock mit Schleppe für das Abendkleid.
Wer daher seine Schnitte selber zeichnen möchte, der beginnt damit, die Grundschnitte von verschiedenen Kleidungsstücken zu lernen:
1. Grundschnitt Rock
2. Grundschnitt Kleid
3. Grundschnitt Bluse
4. Grundschnitt Hose
Bei der Schnitterstellung wird ausserdem von Anfang an berücksichtigt, ob der Schnitt für Webware oder dehnbare Maschenware ausgelegt ist. Du musst dir also nie wieder die Frage stellen "Kann ich den Schnitt für Webware nicht doch auch für Maschenware verwenden?"
Wie? Du meinst, du nähst den Schnitt einfach 2 Nummern größer? Das funktioniert nur, wenn du einen Kartoffelsack nähst ;)
Du willst Stoffexperte werden und im Schlaf den Unterschied zwischen Webware und Maschenware erklären können? Dann sei auf den nächsten Blogartikel gespannt.